Nicht mehr bewirtschaftete Hochgrasfluren der Karbonatgebirge (Calamagrostion variae)

Pflanzensoziologie: Die Gesellschaften dieses Lebensraumes fallen in den Verband Calamagrostion variae (Seslerietalia caeruleae). Zum größten Teil handelt es sich um Stadien aufgelassener Mähwiesen, in denen sich der Wald nur langsam wieder ansiedelt. Verlangsamt wird das Aufkommen von Bäumen durch natürliche oder anthropogene Faktoren, wie z. B. Lawinenabgänge oder Brände.

Beschreibung

Charakteristisch für die Struktur dieser Bestände sind hochwüchsige Gräser, die sich infolge der Aufgabe der Bewirtschaftung einstellen. Andere, mit ihnen vergesellschaftete hochwüchsige Pflanzen sind einige robuste Doldenblütler. Eindringende Gehölze spielen noch kaum eine Rolle.

Übereinstimmung mit anderen Klassifizierungssystemen

Natura 2000, Checkliste der Lebensräume Südtirols, Corine, EUNIS.

Verbreitung

Diese Gesellschaften kommen in den Gebirgen Mittel- und Südeuropas vor. Als Folge des hauptsächlich kontinental geprägten Klimas sind sie in Südtirol weniger verbreitet als in den angrenzenden Regionen. Ein weiterer Grund ist, dass es in Südtirol weniger aufgelassene Almen gibt als andernorts.

Ökologie

Es handelt sich um grasartige Formationen, die mit Vorliebe auf steil exponierten Abhängen oder in Lawinenrinnen gedeihen. Ausschlaggebender ökologischer Faktor ist die starke Wechselfeuchtigkeit der Böden. In diesem Zusammenhang spielen auch beachtliche Temperaturschwankungen eine Rolle. Diese Lebensräume reichen von der (hoch-)montanen Stufe, wo sie ihr Optimum erreichen, bis in die untere subalpine Stufe, bleiben aber immer unterhalb der Waldgrenze. Sie besiedeln skelettreiche Böden, sofern diese gut entwässern und nicht arm an Feinerde sind. Die Verfügbarkeit von Nährstoffen muss aber gewährleistet sein. Es kann dabei durchaus sein, dass eine zeitweilige Trockenheit durch hohe Luftfeuchtigkeit kompensiert wird. Dies ist wohl der Grund, warum sich die Gesellschaft in Gebieten mit eher kontinentalem Klima kaum halten kann.

Typische Pflanzenarten

Typische Arten Artname Deutsch Dominante Arten Charakteristische   Arten Arten der Roten   Liste Südtirols Geschützte Arten (Naturschutzgesetz) Anmerkungen
Calamagrostis varia Buntes Reitgras x        
Laserpitium latifolium Breitblättriges Laserkraut x        
Laserpitium siler Berg-Laserkraut x        
Fourraea alpina Kohlkresse, Wenigblütige Gänsekresse     EN    
Gymnadenia odoratissima Duft-Händelwurz     LC! x  

Oft kommt nur eine der Leitarten vor, die dann meist dominant ist.

Biologische Wertigkeit

Der floristische Reichtum bleibt auch in der ersten Zeit fehlender Mahd bestehen. Daher können in diesen Habitaten durchaus floristische Raritäten vorkommen. Verschiedene Tiergruppen sind an die hier herrschenden besonderen ökologischen Bedingungen angepasst und nutzen den Lebensraum sowohl zur Fortpflanzung als auch zur Ernährung.

Funktion des Lebensraumes

Es handelt sich um Lebensräume, die völlig ihrer natürlichen Entwicklung überlassen sind und aktuell keiner anthropogenen Nutzung unterliegen.

Unterscheidung von ähnlichen Lebensräumen

Zur Abgrenzung dieses Lebensraumes eignet sich weniger die floristische Zusammensetzung als vielmehr seine Struktur und Physiognomie. Manchmal handelt es sich um ein Mosaik aus verschiedenen Entwicklungsstadien, die von Grasflächen über gut abgegrenzte Saumformationen bis hin zum lockeren Wald reichen. Abgesehen von der Dominanz der Leitarten treten besonders die Arten der basiphilen Rasen (Seslerietalia) hervor, die mit Arten von breiterer ökologischer Amplitude und mit den thermophilen Arten der Seslerio-Brometen assoziiert sind. Von der Ökologie her ähneln sie den Gesellschaften des Caricion ferrugineae, den basiphilen Rasen tiefgründiger und reiferer Böden; das Calamagrostion variae ist aber bedeutend wärmeliebender.

Entwicklungstendenzen und Gefährdung

Diese Gesellschaften halten sich nur durch Prozesse stabil, welche die normale Bodenentwicklung und die Ausbreitung der Gehölze verlangsamen. Als entscheidende Faktoren seien die Dauer der Schneebedeckung und Lawinenabgänge genannt. In den meisten Fällen geht dieser Lebensraum aus ehemaligen Mähwiesen ― eigentlich montanen Fettwiesen ― hervor. Er kann aber auch nach Bränden oder größeren Kahlschlägen entstehen.

Pflege und Naturschutz

In der Regel werden diese Lebensräume nicht genutzt und wenn, dann nur gelegentlich. Ihre Entwicklung wird kaum durch die Weide wilder Huftiere oder durch den Durchzug von Schafherden beeinflusst.

Lasen C., 2017 – Beschreibung der Lebensräume Südtirols. Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Abteilung Natur, Landschaft und Raumentwicklung.

MM