Lebensraum Naturpark
Geologie - Das Geschichtsbuch der Erde

Die Südtiroler Dolomiten haben die Phase der alpinen Gebirgsbildung (vor circa 80 bis 30 Millionen Jahren) "relativ heil" überstanden. Während anderswo gewaltige Verschiebungen und Verfaltungen den Altersaufbau der Gesteine für den Laien eher verwirrend und undurchschaubar machen, ist in den Dolomiten die ursprüngliche Folge der Ablagerungen meist noch gut erkennbar. Nichtsdestotrotz gibt es auch hier Bruchlinien (= Störungsflächen), entlang derer Gesteinspakete verschoben wurden. Die bedeutendste Störungsfläche im Naturpark ist die "Villnösser Linie". Daneben sind die so genannten "Gipfelüberschiebungen" auf den Puez-Gherdenacia-Hochflächen von immenser Bedeutung: Hauptdolomit ist tektonisch auf den jüngeren Puezmergel aufgeschoben.
Grödner Sandstein
Die Basis der Dolomiten in diesem Bereich bilden Porphyr und Quarzphyllit. Darauf folgt der nahezu 300 Meter mächtige Grödner Sandstein, Erosionsprodukt eines Millionen Jahre lang andauernden wüstenhaften Klimas. Sichtbar ist der Grödner Sandstein in den Abbrüchen der Kompatschwiesen am Fuß des Peitlerkofels. Er ist aber auch in St. Magdalena/Villnöß und bei der Broglesalm in Gröden zu finden.
Bellerophon Schichten
Ablagerungen im vordringenden Urmeer, der "Tethys", ergaben ein etwa 200 Meter mächtiges Schichtpaket, benannt nach der dort anzutreffenden fossilen Bellerophon-Wasserschnecke. Diese Schichten finden sich vereinzelt am Fuß des Peitlerkofels, der Aferer und der Villnösser Geisler, aber auch oberhalb von St. Christina, Pescosta, im hintersten Villnösstal (Gampenalm, Kreuzjoch) und oberhalb von Kolfuschg im Gadertal. Die zu sanfteren Formen verwitternden Sandstein- und Bellerophon Schichten bilden etwa die lieblichen Kompatsch- und Peitlerwiesen am Fuße des Peitlerkofels.
Werfener Schichten
Vor etwa 180 Millionen Jahren breitete sich das Urmeer aus. Die auf den Meeresgrund gesunkenen Gehäuse winziger Organismen, Algen, Korallen und Muscheln bauen tausende Meter mächtige Sedimentgesteine auf. Es fehlen aber zur Gänze riffbildende Organismen wie Korallen oder Schwämme. Die Werfener Schichten prägen das Gelände um Campill bis zum Juac, ebenso den Sockel der Aferer und der Villnösser Geisler. Sie treten auch bei Sankt Christina und Kolfuschg an die Oberfläche.
Muschelkalk, Sarldolomit, Buchensteiner Schichten
In den zunehmend tieferen Meeresschichten kam es zur Ablagerung karbonatischer Sedimente. Besten Einblick in die Vielfalt der Schichten gewinnen wir auf dem Weg von der Gampenalm zur Schlüterhütte und am Sattel zwischen Aferer und Villnösser Geisler.
Peres Schichten, Morbiac Kalk und Contrindolomit
Im Zuge von Erdkrustenbewegungen gepaart mit Schollenkippungen wird für kurze Zeit das Meer zurückgedrängt und ein großer Teil der bereits abgelagerten Werfener Schichten fällt der Erosion anheim: Es bilden sich Flussschotter und feine Küstensedimente (unter anderem Richthofen-Konglomerat bzw. Peres Schichten). Anschließend gewinnt wiederum das Meer die Oberhand, und es bilden sich zunächst die dunkelgrauen Morbiac Kalke und Mergel mit Pflanzenresten und Flachwasserorganismen (Kalkalgen, Foraminiferen, Schnecken, Brachiopoden und Echinodermen). Darüber folgen helle, gut geschichtete Dolomite (Contrindolomit).
Besten Einblick in die Vielfalt dieser Schichten gewinnen wir auf dem Weg von der Gampenalm zur Schlüterhütte, am Sattel zwischen Aferer und Villnösser Geisler sowie am Nordgrat der Secëda unterhalb der Panascharte.
Buchensteiner Schichten
Die bisher vorherrschenden Flachwasserbereiche versinken nunmehr in die Tiefe, und es bilden sich bis zu 800 Meter tiefe Meeresbecken, die von Riffen umsäumt werden. Gut geschichtete Kalke und Einschaltungen von grünen Tuffen („pietra verde“) sind typisch für die Buchensteiner Schichten.
Wengener- und Cassianer Schichten
Die Wengener- und Cassianer Schichten zeugen von vulkanischen Ereignissen und Riffwachstum und wurden in mehreren 100 Meter tiefen Meeresbecken abgelagert. Die Wengener Schichten bestehen vor allem aus aufgearbeiteten vulkanischen Gesteinen, enthalten aber auch Kalkschüttungen aus den Schlerndolomit-Riffen. Die Gesteine sind reich an marinen Fossilien (etwa die schöne, wie eine strahlende Sonne aussehende Daonella).
Mit den Cassianer Schichten versinkt das vulkanische Hinterland, und es herrschen helle, fossilreiche Kalke und Mergel vor. Am Weg von der Peitlerkofelscharte zur Schlüterhütte ist ein fließender Übergang (Faziesverzahnung) von Schlerndolomit zu Wengener- und Cassianer Schichten deutlich sichtbar.
Schlerndolomit
Der Schlerndolomit ist bestimmend im Naturpark Puez-Geisler: im Norden (Villnösser Geisler, Aferer Geisler, Peitlerkofel) ist er in zahlreiche, an urweltliche Riesengebisse erinnernde Türme und Felszähne aufgelöst, im Süden wird er von den Raibler Schichten vor vorzeitiger Auflösung bewahrt. Dolomit ist ein dichtes, weißes bis hellgelbliches, im frischen Bruch zuckerförmiges Gestein, benannt nach dem Naturforscher Deodat de Dolomieu, der im Jahr 1789 erstmals die chemische Zusammensetzung dieses Gesteins beschrieben hat.
Raibler Schichten
Die deutlich geschichteten Raibler Schichten sind im Landschaftsbild aufgrund ihrer Färbung (grau, gelb, grünlich, rot) gut erkennbar. Die wasserstauende Eigenschaft der Tone und Mergel in den Raibler Schichten schützt heute den darunterliegenden Dolomit vor der Auflösung und bildet auch einen Quellhorizont aus, wie eindrucksvoll bei den Quellwasserfällen im Langental zu sehen.
Haupt- und Dachsteindolomit
Der helle Haupt- und Dachsteindolomit bedeckt die weiten Hochflächen von Crespèina, Gherdenacia und Puez. Die Neigung zur Verkarstung hat zu zahlreichen Klüften, Karren und Rinnen geführt, durch die das Wasser sofort in den Untergrund versickert. Nur genügsame Polsterpflanzen und Spaliersträucher vermögen auf diesen kargen Hochflächen ihr Dasein zu fristen.
Jura- und Kreidezeit
Puez, Muntejela, Col dala Soné, der Kamm um den Gherdenacia-Pass, um Col dala Pieres und Nives-Piz Duleda sind inselartige Reste junger Jura- und Kreideablagerungen, die als Puezmergel bekannt sind. Ablagerugen aus der Zeit des Jura sind im Naturpark Puez-Geisler kaum bis nicht vorhanden. Bei den Kreideablagerungen handelt es sich um feinere, rötliche bis grünlich-graue Mergel mit zahlreichen Ammoniten. Wegen ihrer leichten Verwitterbarkeit bildet sich Schutt. Aus der ausgebleichten Hochfläche ragen - Vulkanen ähnlich - Muntejela und Col dala Soné auf. Sie geben dem Gebiet von Puez-Gherdenacia nun vollends das Bild einer unendlich weiten, verlassenen Mondlandschaft.
Mit der Kreidezeit hat die Herrschaft des Meeres ein Ende genommen. Vor circa achtzig bis dreißig Millionen Jahren wurde der Meeresboden zu mächtigen Gebirgen emporgehoben. Was sich seit gut 260 Millionen Jahren am Meeresboden abgelagert hatte, wurde erneut durch die Erosion (von Wasser und Eis, von Wind und Hitze) abgetragen und talwärts geschwemmt - in die Meere.
Flora - Elemente der Landschaft

Das Gestein und der Boden, die Höhenstufen und das Mikroklima bedingen die Art und die Vielfalt der Pflanzengesellschaften.
Waldgürtel und Zwergstrauchheiden
Der Waldgürtel ist auf die Randbereiche des Naturparks beschränkt.
Im Gebiet um den Peitlerkofel, vor allem am Würzjoch und im Rodelwald, fallen kräftige Bestände von Zirbelkiefern auf, die eine für Südtirol einzigartige Verjüngung aufweisen. Hervorzuheben sind auch die Fichtenbestände im Putiawald und die Lärchenwälder nahe des Halsl.
Der Alpenrosen-Legföhrenstrauch ist an den Westhängen des Peitlerkofels entwickelt.
Prachtvolle Zirbelgruppen wagen sich im Talschluss von Villnöss bis zu den Schotterfeldern der Geislergruppe vor.
Einen eher schütteren Hochwald aus Fichten, Lärchen, Zirbeln beherbergt das Langental. Einzelne junge Bäume wagen sich sogar bis in Höhen von fast 2400 Metern.
Es folgt das Legföhrenkrummholz mit seiner reichen Begleitflora. Im Unterwuchs gedeihen der Seidelbast, das Steinröschen, die Schneeheide, die Alpenrose und allerlei Beerensträucher.
Bergwiesen und Almen
Auf der Zanser Alm zaubern die Pelzanemonen und Soldanellen, Mehlprimeln und Krokusse die erste Frühlingsstimmung. Im Sommer überwiegt das Blau und Rot der Lippen- und Rachenblütler.
Das Quirlblättrige Läusekraut, der Blaue Eisenhut, der Germer, die Stachelige Kratzdistel, das Schwarze Kohlröschen und der Punktierte Enzian beleben die Bergmähder.
Auf den Kompatsch- und Peitlerwiesen bilden Krokus und Herbstzeitlose das erste und das letzte Blütenkleid - im Sommer finden sich Arnika und Wiesenklee in einer bunten Wiesengesellschaft.
Auf feuchten Schneeböden wachsen die Soldanelle und die Dolomiten-Schafgarbe.
Besonders reich an Blumen sind die Lärchenwiesen im obersten Kampiller Tal und der Talboden des Langentals. Zu den Kostbarkeiten zählen die Zwergalpenrose und der Frauenschuh, neben dem Türkenbund und der Gras- und Feuerlilie.
Matten, Schutthalden und Dolomitfelsen
Um den Peitlerkofel sind Polsterseggenrasen zu finden, auf trockenen Hängen auch Blaugrashalden. In den windgeschützten, steileren Lagen gedeihen Edelweiß, Pyrenäendrachenmaul und Kopfiges Läusekraut, nordseitig die Schuttgesellschaften der Alpen-Pestwurz und des Rätischen Mohns. Dichte Teppiche bilden die Spalierweide und die Silberwurz. An den Felsbändern fällt das Dolomiten-Fingerkraut auf.
Auf den Matten südlich des Peitlerkofel blühen Glockenblumen, Alpenastern, Alpengrasnelken. Das Täschelkraut, der Alpenlein und der Rätische Mohn beleben die Schutthalden der Villnösser Geisler. In den Seggenhorsten der Felsbänder behaupten sich noch kleinste Arten von Steinbrech, Enzianen und Primeln.
Im Langental und insbesondere im Chedultal blühen auf den Felsen das Edelweiß, die Echte Edelraute und die Dolomiten-Teufelskralle.
Fauna - Tiere im Naturpark

Das Gamswild hält sich meist in den mit Grasheiden durchsetzten Latschenfeldern im Langental auf, in der Geislergruppe, in den Aferer Ruefen und rund um die Forcela dal’Ega. Rehe bevorzugen offenes Wiesengelände. Die Sträucher an den sonnigen Waldhängen der Zanser Alm bieten auch im Winter genügend Nahrung. Übers Würzjoch wechselt das Rotwild aus dem Peitlergebiet ins Lüsental.
Der Uhu - unsere größte Eule - wurde im Langental öfters gesehen. Gute Balzplätze findet das Birkwild in lichten Waldzonen des Langentales, der Cisles Alm und des Würzjoches; das Auerwild vor allem im Wald am Fuße des Peitler Kofels. Aus der Welt der Insekten fallen um Gampenalm, Cisles- und Medalgesalm farbenprächtige Falter und Käfer auf. Murmeltiere sind an den Westhängen der Cirgruppe, auf der Medalges- und der Cisles Alm zu beobachten.
Auf den Bergalmwiesen und im Zwergstrauchgürtel nisten der Hausrotschwanz, der Steinschmätzer, der Wasserpieper und der Schneefink. Auf der Hochfläche von Gherdenacia und im Gebiet um Stevia hält sich ganzjährig das Alpenschneehuhn auf. Die Kolkraben und die geselligen Alpendohlen bauen in den Klüften der Dolomitfelsen ihre Nester. An den Felsen um die Wasserscharte, in der Geislergruppe und im Langental - oder hoch in den Lüften - sieht man Steinadler ziehen.
Mensch und Naturpark

Gröden und Gadertal
Die Ladiner, das älteste Alpenvolk, gehören zu jener rätoromanischen Bevölkerung, die als romanisierte Ureinwohner noch zu Beginn der Völkerwanderung die Alpen von Karnien bis weit in die Schweiz hinein besiedelten. Im Mittelalter engten germanische, italische und slawische Völkerschaften und Kulturen von Norden, Süden und Osten her den rätoromanischen Siedlungsraum ein. Die Ureinwohner zogen sich entweder in unzugängliche Täler zurück oder gingen in den Kulturen der neuen Herren auf. So haben bis zum heutigen Tag nur drei weit auseinandergerissene rätoromanische Sprachinseln überlebt: das Dolomitenladinische, das Friaulische und das Bündnerromanische.
Wegen der im Verhältnis zur landwirtschaftlichen Produktion doch großen Bevölkerungsdichte Ladiniens musste hier früher sozusagen jedes Grasbüschel bis hinauf in die höchsten Lagen genutzt werden. Die intensive Waldweide hat vor allem im Gadertal zu Erdrutschen und Erosionen geführt, die heute noch nicht zum Stillstand gekommen sind.
Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich die Holzschnitzerei als Zuverdienst zu einem Hausgewerbe, das im 19. Jahrhundert derartige Ausmaße annahm, dass man strenge Bestimmungen zum Schutz der begehrten Zirbe erlassen musste. Über das Grödner Joch erreichen wir das obere Gadertal. Hier finden wir einige Weiler - ladinisch "Viles" -, die weithin die traditionelle Siedlungslandschaft des Gadertales prägen. Nur wenige Höfe sind zumeist um einen kleinen Dorfplatz mit gemeinsamem Brunnen und Backofen gruppiert.
Das Bedürfnis nach Schutz, Zusammengehörigkeitsgefühl und nicht zuletzt der sparsame Umgang mit dem raren Kulturgrund mögen zu dieser vielleicht ursprünglichsten Siedlungsform im Alpenraum geführt haben.
Wenn wir von Campill in den Naturpark wandern, treffen wir auf die Weiler Frëina, Seres und Miscì und längs des Baches auf acht Getreidemühlen, die über ein ausgeklügeltes System von Schleusen, Holzrinnen und Sperren betrieben werden.
Neben der Naturausstattung wird das Bild der Landschaft auch von der Sozial- und Kulturgeschichte der Besiedler geprägt.
Bis zum Bau der Straße im Jahr 1892 war das Gadertal auf Selbstversorgung ausgerichtet, bei der einzig der verfügbare Boden die wirtschaftliche Grundlage bildete. Ackerbau (Gerste und Hafer, Flachs, Roggen, Weizen, Bohnen und Hanf) und Viehzucht standen in ausgewogenem Verhältnis zueinander und ergaben einen geschlossenen Kreislauf: das ewige Bauernland. Das nachgewiesen bereits im Hochmittelalter ausgereifte System sicherte das Überleben der ladinischen Gemeinschaften bis ins 20. Jahrhundert hinein. Ebenso unverändert blieb die bäuerliche Architektur, die mit den vorhandenen Materialien Stein und Holz über Jahrhunderte hinweg das Auslangen fand.
Charakteristisch ist die Pilzform der Häuser. Kellergeschoss und erstes Wohngeschoss mit Stube und Küche bestehen aus weißgetünchtem Steinmauerwerk. Der Bereich der Schlafkammern und der Dachspeicher sind in Holz gefertigt, an mehreren Seiten mit dem umlaufenden Söller (Sorà) umgeben, der auch zum Trocknen von Feldfrüchten dient. Ein flachgeneigtes Holzschindeldach vollendet schließlich das harmonische Bild der Viles.
Die ungeheure wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist an den meisten Viles erstaunlicherweise nahezu spurlos vorüber gegangen. Nicht weit von den Skizentren im Tal entfernt hat sich auf den Steilhängen droben beinahe ein Stück Mittelalter erhalten, wo alte Leute in gleicher Weise wie seit jeher ihrer gewohnten Arbeit nachgehen.
Schutz- und Förderprogramme sollen eine behutsame Anpassung an die geänderten sozioökonomischen Verhältnisse ermöglichen.